Weltweit erlebt
ÖFP

Weltweit erlebt

14 Freiwillige weltweit. Täglich neue Eindrücke und Erlebnisse. Kleine und große Herausforderungen. Erfahrungen für das ganze Leben – all das ist das Ökumenische FreiwilligenProgramm der Evangelischen Mission in Solidarität (EMS)

info_outline
Am schmutzigsten Ort der Welt! (Foto: EMS/Mayer)
Am schmutzigsten Ort der Welt! (Foto: EMS/Mayer)
25. Februar 2018

Am schmutzigsten Ort der Welt!

Jacob

Jacob

Ghana
leistet seinen Freiwilligendienst in einer Berufsschule
zur Übersichtsseite

Silvester und die Tage danach verbrachte ich mit Stefanie, Nils und Sebastian, drei CVJM-Freiwilligen, in der Hauptstadt Accra. Wir konnten im Haus der deutschen Familie Welte wohnen, die über den CVJM Deutschland für drei Jahre in Ghana sind und zu diesem Zeitpunkt auf Heimaturlaub in Deutschland waren. Familie Welte wohnt in den Cantonments, einer Wohngegend für Reiche, wo sich auch mehrere Botschaften, darunter die der USA, befinden. Zudem gibt es einige Gated Communities, also eingezäunte und bewachte Wohnanlagen. Auch das Haus der Deutschen ist von einem hohen Zaun umgeben und wird rund um die Uhr von Wachmännern bewacht. Doch unsicher fühlten wir uns nie. Ich kann mich in Ghana völlig frei bewegen und nutze stets alle öffentlichen Verkehrsmittel ohne Angst zu haben. Bedroht wurde ich in den letzten fünf Monaten noch nie. Als Nils, Sebastian und ich eines abends in Kumasi unterwegs waren, stritten wir mit einem Taxifahrer um fünf Cedi, umgerechnet knapp einem Euro, den er uns nicht zurückgeben wollte. Nach einer hitzigen Debatte verzichteten wir schließlich auf den einen Euro und machten uns auf den Heimweg. Man merkt dann selbst, dass man sich mit der Zeit wohl so richtig eingelebt hat, wenn man schon wegen eines Euros mit dem Taxifahrer streitet.

Mit einem Uber-Car fuhren wir freitags von diesen Cantonments zum Slumviertel Agbogbloshie. Uber ist ein Fahrdienstvermittler, der Fahrgäste an private Fahrer mit eigenem Auto vermittelt und seit einiger Zeit auch andere Dienste wie beispielsweise Auslieferungen von Essen anbietet. Das System heißt UberPop. Im Grunde kann sich jeder Fahrzeughalter als Fahrer registrieren lassen und für andere Personen Mitfahrgelegenheiten anbieten, zum Beispiel für den Weg zur Arbeit. In Deutschland gab es diesen Fahrdienst bis 2015, dann wurde er gerichtlich verboten. Die deutsche Taxibranche hatte erfolgreich auf Wettbewerbsvorteil geklagt, mit einem Verweis auf die fehlenden Lizenzen und Ausbildungen der Fahrer. In den zwei größten Städten Ghanas, Accra und Kumasi, gibt es UberPop aber nach wie vor. Uber bietet für uns eine gute Alternative, da die Preise feststehen, oftmals billiger als die üblichen Taxis sind und man sich das lange Preisverhandeln mit den Taxifahrern spart.

Doch jetzt zur Agbogbloshie-Dump, der Müllhalde Accras. Auf dem Weg dorthin wurden wir mehrmals von unserem Fahrer gefragt, ob das auch die richtige Richtung sei und ob wir wüssten, wohin wir fahren möchten. Es kommt wohl nicht sehr häufig vor, dass sich zwei deutsche Jungs an diesen Ort verirren. Im Stadtteil Agbogbloshie angekommen, stiegen wir mitten auf dem Markt, auch Zwiebelmarkt Ghanas genannt, aus und fragten uns dann zur Müllhalde durch. Wir haben sofort bemerkt, dass über dem kompletten Viertel eine ordentliche Qualm-Wolke liegt.
Den Markt und die Müllhalde trennt nur ein Fluss. Das Wasser darin sieht überhaupt nicht mehr ­wie Flusswasser aus, so wie wir es von deutschen Flüssen kennen, sondern ist eine von Altöl und Abfällen getränkte schwarze, dickflüssige Brühe. Dieser Fluss ist seit einigen Jahren tot und fließt einige hundert Meter weiter direkt in den Golf von Guinea und damit ins offene Meer, wo der Dreck auch auf Fische und alle anderen Meereslebewesen trifft. Seit einigen Jahren führt dies zu einem regelrechten Artensterben vor der Küste Accras. Der Giftmüll breitet sich immer weiter aus und kommt auch an den beiden Küstenstreifen seitlich von Accra mit allen Meeresbewohnern in Kontakt. Ein Großteil der am Meer lebenden Bevölkerung, besonders in den kleinen Dörfern, lebt allerdings vom Fischfang. Eine Vielzahl ghanaischer Gerichte wird mit Fisch gekocht und oftmals gibt es Fisch als Beilage. Auch meine Gastmama Cynthia kocht fast jedes Gericht mit Fisch. Doch woher dieser Fisch stammt, weiß ich leider, oder zum Glück, nicht.

Auf der Brücke, die den Markt und die Müllhalde verbindet, konnten wir schon aus einiger Entfernung einige Männer entdecken. Sie standen im dichten Qualm eines offenen Feuers und verbrannten Elektrokabel, um an das wertvolle Kupfer zu gelangen und es später weiterverkaufen zu können. Nils und ich trauten uns schließlich auf die Müllhalde und der Gestank nach verbranntem Kunststoff wurde schlimmer und beißender. Schließlich banden wir uns unsere Stofftaschentücher, die eigentlich alle Ghanaer*innen jederzeit mit sich tragen, um sich den Schweiß von der Haut zu wischen, um Nase und Mund. So bekamen wir hoffentlich nicht die komplette Menge an giftigen Gasen ab. Die Menschen, die uns begegneten, schützten sich jedoch überhaupt nicht gegen den Qualm und die giftigen Dämpfe. Auch nur einer der zehn Männer, die direkt am Feuer arbeiteten, trug eine alte Staubmaske. Laut einer Greenpeace Luftmessung aus dem Jahr 2008 lag die damals gemessene Schadstoffbelastung in Luft und Boden über dem 50-fachen der als gesundheitlich unbedenklich geltenden Menge und über dem 100-fachen Wert im Vergleich zu unbelasteten Gegenden. Das Areal um die Agbogbloshie-Dump gilt deshalb als einer der verseuchtesten Orte der Welt.

Am äußeren Teil der Müllhalde lagen unzählige alte Kühlschränke, Computer und sonstiger Elektroschrott, auch kaputte Autos und alte LKWs wurden hier in ihre Einzelteile zerlegt und nach Art des Stoffes sortiert. Wir gingen auf schmalen Trampelpfaden voller Scherben und Kunststoffteilchen vorbei an kleinen Gruppen von Arbeiter*innen und Bergen von Müll und Schrott. Befestigte oder sogar geteerte Wege sucht man hier vergebens. Die oftmals jungen Arbeiter zerlegten mit einfachsten Mitteln und ihren bloßen Händen die Kühlschränke und die alten Röhrenfernseher, um an die wertvollen Metalle zu gelangen. Dass dabei giftige Schwermetalle wie Blei, Chrom und Quecksilber austreten, in den Fluss fließen und die ehemalige Lagune zerstören, interessiert leider niemand. Lagune ist hier ein befremdlich wirkendes Wort, doch die Agbogbloshie-Dump war früher eine Lagune und bis ins Jahr 2000 ein Vogelschutzgebiet. Seither wächst die Menge an Schrott und Müll, der Slum dehnt sich aus und die Lagune ist mittlerweile zur Müllhalde geworden. 

Frauen sahen wir auf der Müllhalde nur sehr wenige. Die Frauen, die uns begegneten, trugen Wasser oder Essen in großen Metallschüsseln auf ihren Köpfen und verkauften dieses an die Arbeiter*innen. Diese Verkäufer*innen findet man an fast jeder Ecke Ghanas. Sie stehen oftmals an großen Straßen und verkaufen Wasser, Essen und alles Erdenkliche wie Kleidung, Hauswaren oder die besagten Stofftaschentücher. 

Nach rund 150 Metern auf der Dump kamen wir einer großen Fläche mit den brennenden Kabeln immer näher und wurden plötzlich von einem Mann angesprochen. Er fragte uns, was wir hier tun und was uns einfallen würde, hier einfach so Bilder zu knipsen ohne zu fragen. Wir wurden aufgefordert, rund 200 Cedis, umgerechnet ca. 40 Euro, zu bezahlen. Natürlich hatte er nicht ganz Unrecht und wir entschuldigten uns bei ihm für unser forsches Vorgehen. Wir erklärten ihm, dass wir weder Journalisten noch Fotografen sondern eben Freiwillige sind, in ghanaischen Schulen arbeiten und die Bilder nicht weiterverkaufen sondern nur für private Zwecke nutzen möchten. Nach einigem Zögern verstand er unser Anliegen und meinte, wir sollten ihm folgen, denn er würde uns durch die Dump führen und uns seine Arbeit und einen Teil der Müllhalde zeigen. Und so gingen wir gemeinsam über eine große Freifläche an den Rand des Platzes und zum Ufer des Flusses. Hier standen ca. zehn Arbeiter um die offenen Flammen und verbrannten Elektrokabel, Elektromotoren und sonstigen Schrott mit Kupferanteil. Unser Führer forderte uns auf, Bilder zu machen, doch das wiederum gefiel einigen seiner Kollegen gar nicht. Als wir bestätigten, dass wir nur das Feuer fotografieren wollen und nicht die Arbeitenden, waren sie schließlich einverstanden. Dann erzählten sie uns bereitwillig, dass ein Großteil des Schrotts vom angrenzenden Hafen stammt oder direkt mit dem LKW auf der Müllhalde abgekippt wird, wo er dann grob sortiert wird. Die Jungs vom Kupferhandel kaufen sich einige Schubkarrenladungen voll mit Elektroschrott und bringen diesen zu ihrem Arbeitsplatz.

So ein Bündel Elektrokabel kostet die Arbeiter je nach Größe und Gewicht zwischen 8 bis 20 Euro. Ein Großteil des Schrottes stammt aus Europa und Nordamerika. Oftmals wird dieser illegal nach Ghana exportiert und dort „weiterverarbeitet“. Jedes Jahr „landen“ etwa 150 Tonnen Elektroschrott auf dieser Müllhalde. Allein in Deutschland fallen jährlich ca. 1,8 Millionen Tonnen Elektroschrott an. Davon werden jedes Jahr bis zu 150.000 Tonnen illegal ins Ausland exportiert, meist nach Afrika. Laut der Neuen Zürcher Zeitung, die einen Artikel über diese Müllhalde verfasst hat, umfasst das Gebiet ca. 3,5 Quadratkilometer. In den umliegenden Slums sollen bis zu 70.000 Menschen leben, davon arbeiten angeblich 4000 auf der Dump. In ihrem Artikel berichtet die Zeitung auch, dass es außenstehenden Personen und vor allem Journalisten nicht gestattet sei, sich ohne autorisierte Begleitung auf der Müllhalde zu bewegen. Auch Fotografieren sei strengsten verboten. Wir hatten wohl großes Glück. Ob unsere Begleitperson autorisiert war, bezweifle ich. Und natürlich hatten wir auch nur einen winzigen Bereich des großen Ganzen gesehen.

Nachdem ein Arbeiter eine große Menge an Kupfer gesammelt hatte, durften wir ihn zum Wiegeplatz begleiten. Hier wurde das Metall auf einer großen Standwaage gewogen und dann an einen Händler weiterverkauft. Als wir ankamen lagen gerade 600kg Aluminium auf der Waage. Am häufigsten waren Motorenteile, darunter auch Teile des größten deutschen Autobauers, zu sehen. Für die rund 20kg Kupfer, die er aus einem 8€ teuren Paket an Elektrokabeln und Elektromotoren gewonnen hatte, bekam unser Freund ca. 16€. Davon muss er allerdings den Einkaufspreis des Materials abziehen und anschließend seine Kollegen ausbezahlen. Für ihn selbst bleibt dabei also nicht allzu viel übrig: vielleicht ca. 15 Cedis, keine 3€. Als Tageslohn auch für ghanaische Verhältnisse sehr wenig. Mit einem solchen Gehalt ist es auch hier sehr schwer, eine Familie ordentlich zu ernähren oder seine Kinder zur Schule zu schicken.

All die oben geschilderten Eindrücke basieren auf meinen persönlichen Erlebnissen und können nicht verallgemeinert werden. Einige der genannten Daten & Fakten habe ich mit bestem Wissen und Gewissen im Internet recherchiert. Für alle Informationen kann und will ich keine Garantie der Richtigkeit gewährleisten.

 

Quellen:

„Recycling in Ghana, die Alchimisten von Agbogbloshie.“, Neue Zürcher Zeitung, 09.04.2017, David Siger, https://www.nzz.ch/amp/wirtschaft/recycling-in-ghana-die-alchimisten-von-agbogbloshie-ld.939577 09.02.2018

„Giftiger Elektromüll“, Planet Wissen, Annika Zeitler, https://www.planet-wissen.de/kultur/afrika/ghana/pwiegiftigerelektromuell100.html 09.02.2018

http://www.spiegel.de/wirtschaft/unternehmen/fahrdienst-uber-uberpop-bleibt-in-deutschland-verboten-a-1096768.html

10.02.2018

de.m.wikipedia.org/wiki/Uber_(Unternehmen) 10.02.2018

 „Wie viel IT-Schrott fällt pro Jahr in D bzw. EU ungefähr an?“, ReUse-Computer e.V., www. Reuse-computerr.org, 16.02.2018

info_outline
Auf der Brücke zwischen Markt und Müllhalde (Foto: EMS/Mayer)
Auf der Brücke zwischen Markt und Müllhalde (Foto: EMS/Mayer)
info_outline
Ein Arbeiter beim Verbrennen von Elektrokabeln
Ein Arbeiter beim Verbrennen von Elektrokabeln