
Salziger Tee, Abschiedskaffee, …
Abschied an der TSS und Reflexion
TSS Boarding-House Amman, 22. Mai, 07:49 Uhr.
Die Kinder wuseln durcheinander, frühstücken, füllen ihre Wasserflaschen auf, wischen den Tisch ab. Ich stehe an der Tür im Durchgang zwischen den Gruppenräumen. Neben mir auf einem Stuhl, der hier im ansonsten leeren Flur recht verloren aussieht, sitzt einer der Viertklässler und trinkt aus einem Pappbecher. „Wie geht’s, wie ist der Morgen?“, versuche ich einen Gesprächsstart. „Okay“, antwortet er kurz angebunden. „Wie ist der Tee?“, frage ich weiter. „Nicht gut“, erwidert er mit grimmiger Miene. Fragend schaue ich ihn an. „Wie nicht gut? Warum denn das?“ Halb verärgert, halb über sich selbst schmunzelnd erklärt er mir „Ich habe versehentlich Salz statt Zucker in den Tee getan.“ Ich kann mir das Lachen nicht verkneifen und verstehe jetzt seine eher mäßige Laune. Wer weiß, wie süß Tee hier üblicherweise serviert wird, kann sich vorstellen, dass sich in den ca.150ml Tee, die er da in der Hand hält, mindestens ein Esslöffel Salz befinden muss.
Wie schön, denke ich, dass mich die Kinder auch an diesem Morgen noch zum Lachen bringen. Normalerweise sind wir nicht beim Frühstück dabei, aber gestern Abend hatte meine Kollegin uns gebeten dazuzukommen. Ich freute mich über die Gelegenheit auch diesen Teil des Tages im Internat mal mitzuerleben und machte mir keine weiteren Gedanken. Bis uns heute Morgen die Tür geöffnet wurde mit den Worten: „Heute ist der letzte Tag, verabschiedet euch von den Kindern, sie gehen nach der Schule nach Hause“. Meine innere Gefühlsverwirrung war groß. Als die Kinder fragten, warum ich weine, wurde mir bewusst, dass einigen von ihnen nicht bewusst war, dass wir Freiwilligen nicht wie die anderen Erzieherinnen nach den Ferien wiederkommen. Wir machten Fotos, sagten letzte Worte und schrieben unsere Kontaktdaten auf Karteikarten, damit die jüngeren Kinder uns, vom Handy ihrer Eltern aus, schreiben können. Das war unser Abschied, ganz plötzlich, zwei Wochen früher als erwartet.
Dachten wir zumindest…
Wir hatten uns über das Wochenende mit der Situation abgefunden und neue Pläne für die freigewordene Zeit gemacht. Am Montag erreichte mich dann die Nachricht meiner Kollegin, dass ich doch bitte in die Family kommen solle, um mit den Kindern Deutsch zu lernen. Völlig verwirrt stellte ich fest, dass alle Kinder wieder da waren. Manche fragten, ob ich schon wieder zurück sei aus Deutschland. Und so hatten wir noch zwei Arbeitstage, dann wieder einen „jetzt aber wirklich letzten Tag“, um dann in der folgenden Woche doch einen Teil der Kinder nochmal im Internat zu treffen. Es war ein Hin und Her, es war verwirrend und ich bin ehrlich gesagt froh, dass es jetzt tatsächlich endgültig vorbei ist. Nicht, weil ich die Arbeit mit den Kindern nicht geliebt habe, sondern weil das immer wieder Tschüss sagen frustrierend wurde und sich irgendwann nicht mehr echt anfühlte.
Ein sehr schönes Ereignis zwischen all dem Aufwühlenden war die offizielle Einweihung der neu renovierten Internatsräume. Zwischen hohen Kirchenleuten und Botschaftern aus aller Welt bei edlen Häppchen, kamen wir uns etwas fehl am Platz vor. Die renovierten Räume sehen allerdings wunderschön aus, insbesondere mit den Möbeln, die am Vortag schon von den Kindern bestaunt und getestet worden waren. Direkt im Anschluss an die Einweihung des Internatsgebäudes fand die Graduation-Ceremony statt. Es gab Ansprachen, ein kleines Theaterstück und einen tollen Auftritt des Schulchors, bevor die Azubis der Berufsausbildungen an der TSS ihre Abschlusszeugnisse erhielten.
Damit ist unsere Arbeit als Freiwillige an der Schneller Schule jetzt abgeschlossen. Es sind Sommerferien und ich kann immer noch nicht wirklich fassen, dass es vorbei ist. Wir wohnen weiterhin auf dem Gelände, machen von dort aus Ausflüge und treffen Freunde. Vergangenes Wochenende waren wir in Irbid, einer Stadt im Norden. Dort besuchten wir unter anderem den Internatsleiter, zu dem wir über die vergangenen Monate eine besonders enge Beziehung entwickelt haben und der uns oft mit Rat und Tat zur Seite stand. Wir hatten eine schöne Zeit mit ihm und seiner Familie und letztendlich auch einen guten, wenn auch schweren Abschied.
Typischerweise wird zum Ende einer Einladung oder Verabredung arabischer Kaffee getrunken – was nicht bedeutet, dass man nicht auch vorher schon ein Tässchen (entspricht in der Größe ca. einem Espresso) trinken kann. Obwohl wir uns inzwischen etwas an den bitteren Geschmack gewöhnt haben, trinken wir den Kaffee meist eher aus Höflichkeit. Aber die Menschen, die uns näher kennengelernt haben, wissen von unserer Abneigung und nehmen es uns nicht übel, wenn wir nur eine Tasse oder garnicht mittrinken. Jedenfalls ist es jetzt an der Zeit, dass wir unseren Abschiedskaffee mit Jordanien trinken, im übertragenen Sinne zumindest. Abgesehen davon will ich mich aber auch auf das Zurückkommen nach Deutschland vorbereiten. Vermutlich ist es noch etwas zu früh, um meine Zeit hier zu reflektieren, aber ich will meine Gedanken mit euch teilen, damit ich später noch einmal darauf zurückblicken kann:
Was werde ich vielleicht vermissen, was schätze ich hier sehr?
- Menschen: Die Kinder, Kollegen, Freunde, Bekanntschaften und die Gastfreundschaft
- Arabisches Essen und die, im Vergleich zu Deutschland, günstigen Preise
- Städte (besonders Amman): Sandsteinhäuser mit flachen Dächern, lebhaft lauter Verkehr, Märkte, kleine Cafés und das Bussystem
- Natur: Die Weite der Wüste, Sonnenuntergänge, der hängende und liegende Mond
- Sprache: Arabisch lernen ist und war schwer und schön zugleich. Zu wissen, dass ich einiges davon vermutlich wieder vergessen werde, ist schade.
- Freizeit: Ich glaube, ich war noch nie über einen so langen Zeitraum so entspannt (bzw. stressfrei), weil ich abgesehen von der Arbeit kaum Verpflichtungen oder Druck hatte. Es war viel Zeit für Hobbys, genügend Schlaf und zum Seele baumeln lassen.
- Mitfreiwillige: Fast 9 Monate habe ich mit Ailu zusammengelebt und gearbeitet. Wir haben viele neue Erfahrungen geteilt und ich bin unglaublich froh, dass wir gemeinsam hier sind. Auch mit Julia und Margarete, die in Salt ihren Freiwilligendienst machen und mit denen wir viel unterwegs waren, sind wir eng zusammengewachsen.
Worauf freue ich mich in Deutschland?
- Menschen: Freunde und Familie wiedersehen, Feste feiern
- Essen: Deutsches Brot, Gekochtes/ Gebackenes von bestimmten Herzensmenschen
- Städte: Orte die sich nach Heimat anfühlen, schöne Altstädte, Geh- und Fahrradwege
- Natur: Der Bodensee, bunte Wälder im Herbst
- Freizeit: Unterwegssein/ Besuche machen, Freibad, Gemeinde
Ihr merkt vielleicht: Die Gefühle sind ambivalent. Was es schwer macht die Dinge hier zurückzulassen, ist, dass ich nicht weiß, ob und wann ich wiederkomme. Aber ich hoffe sehr, dass ich manches von dem, was ich hier gelernt habe, auch mit nach Deutschland nehmen kann. Auch wenn die oben angeführte Vermissens-Liste lang ist, freue ich mich aktuell sehr darauf zurückzukommen. So gerne ich hier in Jordanien bin, merke ich doch, dass ich die kommende Zeit in Deutschland verbringen will, etwas näher bei meiner Familie. Deshalb habe ich mich entschieden ab Oktober in Tübingen zu studieren. Mal sehen, wie sich all meine Gedanken in den letzten 20 Tagen noch entwickeln und wie meine Rückkehr dann wirklich wird. Wenn ich dazu komme, berichte ich euch davon in einem weiteren Blogeintrag aus Deutschland. Falls nicht, schon mal Danke an alle, die mir diese ganz besondere Zeit hier ermöglichen und dazu beitragen. Ein großes Dankeschön fürs Lesen, Begleiten und Ermutigen.
Liebste Grüße,
Caro


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