Amman von zwei Seiten
Osten und Westen von Jordaniens Hauptstadt
Kirchheim u.Teck, 16. September, 15:15 Uhr.
Mein Koffer wiegt 28 kg – das sind fünf zu viel. Ungünstig, denn wir wollten vor 15 Minuten losfahren, damit ich rechtzeitig den Zug nach Stuttgart erreiche und dort den ICE zum Frankfurter Flughafen nicht verpasse. Also schnell umpacken und die geliebte (aber leider zu schwere) Latzhose zu Hause lassen. Dann ein paar Verabschiedungen, die flüchtiger und nüchterner ausfallen als geplant, da in der Eile keine Zeit für emotionale Ausschweifungen bleibt. Ein absoluter Caro-Klassiker, der Stress in meinem gesamten Umfeld erzeugt, so, dass ich schließlich doch bis nach Stuttgart gefahren werde – nochmal ein großes Danke dafür! Die Zugfahrt, Gepäckaufgabe und der letzte Abschied am Flughafen verlaufen zwar nicht ganz tränenlos, aber zumindest stressfrei. Um 21 Uhr sitze ich im Flieger nach Amman, Jordanien.
Ca. 5 Stunden später trete ich aus dem Flughafengebäude im Westen Ammans in eine angenehm warme Sommernacht. Weil ich erst 17 bin, komme ich allein, zwei Wochen nach den anderen Freiwilligen, und werde auch nicht von einem Fahrer meiner Einsatzstelle abgeholt. Meine Arbeit beginnt erst nach meinem Geburtstag, Mitte Oktober. Bis dahin wohne ich bei Bettina, einer wunderbaren Deutschen, die in West-Amman lebt und mich herzlich am Flughafen begrüßt. Wir fahren mit einem Mietwagen zu ihrer Wohnung. Auf dem Weg bin ich überrascht von der grünen und roten Nachtbeleuchtung der Moscheen, die man in Deutschland eher von Nachtclubs kennt. Abgesehen von der weniger strengen Einhaltung der Verkehrsregeln fällt mir sonst zunächst aber kaum ein Unterschied zu meiner gewohnten Umgebung auf.
Verschlafen öffne ich am nächsten Morgen die Rollläden und staune: Sandsteinfarbene Häuser, soweit das Auge reicht, nur unterbrochen von ein paar Wolkenkratzern. Nicht nur das Leben in einem fremden Land ist neu für mich, sondern auch das Leben in einer Großstadt und noch dazu in einer Hauptstadt: Amman. Die Wohnung unterscheidet sich kaum von einer stilvoll eingerichteten Drei-Zimmer-Wohnung in Deutschland. Es gibt zwar keine Spülmaschine, man sollte das Leitungswasser nicht trinken, und man muss fast täglich Staubwischen, aber ansonsten finde ich wenig Ungewohntes. Hier wohne ich jetzt also vier Wochen lang mit Bettina und ihrer mexikanischen Mitbewohnerin Elizabeth. Da beide unter der Woche arbeiten, mache ich an meinem ersten Tag einen abenteuerlichen Spaziergang durch das Viertel. Ich muss zu einer Wechselstube, weil ich als Minderjährige noch keine Kreditkarte habe. Erst dann kann ich mir eine SIM-Karte besorgen und habe endlich Internet. Bis dahin musste ich mich ganz oldschool ohne Google Maps zurechtfinden, was mir aber Spaß gemacht hat! Im Carrefour stelle ich fest, dass die Preise umgerechnet fast genau den deutschen entsprechen, und auch die meisten Marken und Produkte sind vertraut. Gebäude, Menschen und Vegetation sehen zwar etwas anders aus, aber Kulturschock? Fehlanzeige.
Tag für Tag lerne ich die Umgebung und das Verkehrsnetz besser kennen. Bettina und Elizabeth zeigen mir die Innenstadt, und erstere nimmt mich überall hin mit. Ich habe keine Verpflichtungen und kenne mich auch noch nicht genug aus, um viel alleine zu unternehmen – umso schöner, jemanden an der Seite zu haben, der sich auskennt und Arabisch spricht. Also begleite ich Bettina zur Arbeit, in ihre Gemeinde, zur Sprachschule, zu verschiedenen Treffen, Feiern und sogar auf einen Wochenendtrip mit Freundinnen. Sie beantwortet meine Fragen zu Kultur, Sprache und Glauben, hat immer ein offenes Ohr und gute Ratschläge. So lerne ich schnell neue Leute kennen und finde Möglichkeiten, meine Freizeit zu gestalten. Anfang Oktober werde ich so Teil des Teams für eine Kids Week im Projekt von Bettinas Freunden. Dort habe ich zum ersten Mal Kontakt zu Kindern hier und merke, dass Spiel und Spaß auch die Sprachbarriere überwinden können.
Meine Mitfreiwillige Ailu (aka Julia H.) arbeitet zum Zeitpunkt meiner Ankunft schon seit zwei Wochen an unserer Einsatzstelle. Für unser erstes Treffen in Amman haben wir „Ragadan“ als Treffpunkt bestimmt – nur doof, dass ich auf Google Maps „Ragadan Interchange“ auswähle, während sie eigentlich die Busstation meint (was auch viel mehr Sinn ergibt, wie ich später feststelle). Also laufen wir uns erstmal noch 25 Minuten entgegen, bevor wir uns gemeinsam bei der Sprachschule anmelden. Schon auf diesem ersten Spaziergang durch Ragadan fällt mir auf, dass die Gegend sich stark von der unterscheidet, in der ich bisher wohne. Es sind mehr Menschen auf den Straßen, die Gebäude wirken weniger hübsch gepflegt und die Luft ist etwas dicker. Die Menschen reagieren auch anders auf mich: Anders als in West-Amman werde ich angesprochen, mir werden Dinge zugerufen, oder ich werde angestarrt. Das Gefühl, anders zu sein, kenne ich zwar schon aus dem Bus, wenn ich als einzige Frau ohne Kopftuch unterwegs bin oder eben nicht sonderlich arabisch aussehe, aber hier ist es deutlich präsenter.
Dieser Unterschied zwischen dem Osten und dem Westen der Stadt steht auch direkt in Verbindung mit meinem Umzug von Bettinas Wohnung (im Westen) zu meiner Einsatzstelle, der Theodor-Schneller-Schule (im Osten). Insgesamt leben in Amman viele Menschen aus Europa, den USA und anderen Ländern, zum Beispiel um Arabisch zu lernen oder in NGOs zu arbeiten. Diese Leute leben jedoch fast ausschließlich in den wohlhabenderen Vierteln im Westen oder im Stadtzentrum. Dort wundert sich also kaum jemand über eine junge Europäerin, die allein unterwegs ist. Viele sprechen Englisch, und der Verkäufer im Carrefour weiß, dass Deutsche ihre Einkäufe lieber in eigenen Jutebeuteln als in Plastiktüten mitnehmen. Im Osten der Stadt ist das völlig anders: Hierher verirren sich kaum Touristen, es gibt keinen Carrefour und die Gegend um die TSS hat auch bei Einheimischen keinen besonders guten Ruf.
Einen Tag nach meinem 18. Geburtstag ziehe ich auf das wunderschöne Gelände der Schneller-Schule. Dank Ailus Erfahrungen und Tipps werden mir die Abläufe schnell klar. Trozdem mache ich Fehler, manche auch mehrmals und trete in Fettnäpfchen. Jetzt arbeite ich im Internat, wo ich bei den Hausaufgaben in Deutsch und Englisch helfe und nebenbei ein kostenloses Spielplatz-Workout bekomme (anschaukeln, Fangen und Fußball spielen, Wippen usw.). Zwei Mal pro Woche machen Ailu und ich eine kleine Weltreise in die Stadt zum Arabischunterricht. Unsere Lehrerin ist sehr freundlich, lacht und singt gerne. Die Sprache ist zwar nicht leicht, aber wir geben unser Bestes und ich habe Freude daran. Am Wochenende treffen wir oft andere Freiwillige und machen gemeinsam Ausflüge.
Obwohl ich immer gern die Jüngste war, musste ich feststellen, dass ein Abitur mit 17 nicht sehr erstrebenswert ist, weil man für fast alles, was danach kommt, volljährig sein sollte. Mittlerweile bin ich aber unglaublich froh über diesen ersten Monat, in dem ich so viel sehen und erleben durfte. Ich hatte wohl die beste Eingewöhnungszeit, die man sich wünschen kann, sozusagen in Etappen: Erst in einer touristenfreundlichen Gegend ankommen und jetzt an der TSS leben und arbeiten. Schon vor meinem Flug und auch in meinem ersten Monat hier, habe ich gemerkt, dass Gott mich vorbereitet – durch Begegnungen, Gespräche und Impulse. Jetzt darf ich sehen, was er Wunderbares für mich geplant hat und mich daran und darauf freuen.
Es gibt noch viel zu erzählen: über die Kultur, das Essen, meine ersten Ausflüge und natürlich die Arbeit. Wenn euch das interessiert, schaut gerne mal in die Blogs der anderen Jordanien-Freiwilligen.
Liebste Grüße,
Caro
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