
Vom Muezzin, Sonntagstratsch und Ostereiern
Die letzten Monate im Schnelldurchlauf
Hallo zusammen,
es ist echt der Wahnsinn! Gerade habe ich mir nochmal meinen ersten Blogeintrag von Anfang November durchgelesen und musste schmunzeln. Darin schrieb ich, wie verblüffend schnell die ersten zwei Monate doch vorbei gegangen waren und heute - sechs Monate später - bin ich an dem Punkt, wo ich realisieren muss, dass es eben genau nochmal solch zwei geschwinde Monate sein werden, bis ich wieder in Deutschland bin. Aufregend und erschreckend zugleich, weil ich mir überhaupt nicht vorstellen kann, bald wieder zurückzufliegen und Indonesien mit all den Leuten, die mir so sehr ans Herz gewachsen sind, zurückzulassen.
Inzwischen habe ich mich so sehr an mein Leben in Mamasa gewöhnt, dass ich manchmal vergesse, dass ich eigentlich nur zu Gast in diesem Land bin und meine Zeit hier begrenzt ist. Ich habe mich hier so gut eingelebt, dass der Alltag im Kindergarten, der obligatorische Reis zu jeder Mahlzeit, die Freizeit mit meinen Freunden und vieles mehr mein neues Zuhause geworden sind. Selbst den Muezzin, den ich in meinen ersten Monaten in Mamasa noch fünfmal täglich gehört habe, nehme ich schon gar nicht mehr war. Ob ich ihn und die generelle Geräuschkulisse der knatternden Motorräder, dem Hundegebell und der eindringlichen Karaokemusik von nebenan vermissen werde?
Doch bevor ich jetzt noch ganz melancholisch werde, möchte ich Euch noch berichten, was in der letzten Zeit so alles passiert ist.
Im Januar und Februar war ich viel auf Reisen. Angefangen hatte es mit einem Trip nach Bali und Java mit Emil und Micha, danach habe ich mit Freunden aus Mamasa Jakarta und Makassar erkundet und dann kam auch schon das Zwischenseminar in Kalimantan. Hier trafen wir drei auf Freiwillige der VEM - einer anderen Entsendeorganisation aus Deutschland. Es tat gut, sich über die Erlebnisse und Erfahrungen auf den jeweiligen Inseln auszutauschen und dabei auf die ein oder andere Gemeinsamkeit und dementsprechend Verständnis zu stoßen.
Im März konnte ich dann zum ersten Mal den Ramadan in einem Land miterleben, wo der Islam als Religion überwiegt. Da in Mamasa jedoch die Mehrheit der Menschen christlich ist, war hier eher weniger von dem Fastenmonat zu merken. Abgesehen davon, dass der Muezzin öfters als fünfmal täglich erklang und kleine Snackstände rund um die Moschee aufgestellt wurden.
Ganz im Gegenteil zu Makassar, hatte ich den Eindruck. Tagsüber war die sonst mit Motorrädern, Autos und Kleinbussen überfüllte Stadt wie leer gefegt. Kaum ein Mensch konnte man auf der Straße begegnen und nur wenige Restaurants hatten geöffnet. Doch halb 6 - als die Sonne langsam begann, unter zu gehen – strömten mit einem Mal alle Leute aus ihren Häusern heraus und trafen sich mit Familie und Freunden, um gemeinsam an großen Festtafeln oder in Restaurants essen zu gehen. Jeden Abend verwandelte sich also aus den einsamen Stadtvierteln innerhalb von 30 Minuten ein reges Treiben mit einem dichten hartnäckigen Verkehrsstau. Wir als Christen hatten natürlich alle Freiheiten etwas zu uns zu nehmen. Jedoch aus Solidarität gegenüber den Muslimen, vermieden auch wir in der Öffentlichkeit tagsüber zu essen oder zu trinken. Lieber bestellten wir uns was nach Hause und gingen dann abends mit allen anderen raus. Ein sehr interessantes Erlebnis für mich, was ich so schnell nicht noch einmal erleben werde.
„Idul Fitri“ - das Fest zum Fastenbrechen am Ende des Monats - konnte ich leider nicht aus nächster Nähe miterleben. Denn ich war zu der Zeit in Bali, um mir die Feierlichkeiten für das hinduistische Neujahr anzuschauen. Auch wenn schon einige Tage vor dem großen Höhepunkt teils öffentlich teils private Zeremonien an den Tempeln stattfanden, war doch das Highlight das „Ogoh-ogoh“ Festival. Ein Umzug, bei dem mehr oder weniger furchteinflößende selbstgebastelte Monster in die Höhe gehalten wurden. Mit schallendem Geschrei, Trommelmusik und Fackeln zogen tausende von Hindus jung und alt durch die engen Straßen, um die bösen Geister des letzten Jahres zu vertreiben und gereinigt in das neue Jahr einzusteigen. Dabei mussten sie sich teilweise sehr umständlich um die schaulustigen Touristenmassen umher schlängeln, wobei das ein oder andere Körperteil eines Monsters auch mal hängen blieb. Ob es nun eine religiöse Veranstaltung oder doch nur eine Touristenattraktion war, wurde am darauffolgenden Tag in den Hintergrund gerückt. Denn am 29. März wird alle zwei Jahre „Nyepi“, der Tag der Stille gefeiert. Das ist ein Tag, an dem jegliche Tätigkeit der Menschen komplett eingestellt wird. Alle Menschen auf ganz Bali müssen in ihren Häusern bleiben, es herrscht kein Verkehr, Lärm wird auf das Geringste reduziert und Musik und Licht werden abgeschaltet. In einigen Teilen Balis verzichten die Menschen sogar auf das Sprechen. Abhängig wie stark hinduistisch ein Ort geprägt ist, wird es mehr oder weniger strikt gehalten. So ist „Nyepi“ zwar ein nationaler Feiertag, wird aber nur auf Bali und an Orten zelebriert, wo es eine hinduistische Mehrheit gibt.
Ein weiteres Highlight war, dass ich für eine Woche in einem kleinen, sehr ländlich geprägten Dorf namens Talambai gelebt habe. Das ist die Heimat von einem Teil meiner Gastfamilie und sie hatten mich eingeladen, dorthin zu gehen, um den Unterschied zwischen Stadt- und Dorfleben nochmal deutlicher wahrzunehmen. Und ja, ich hätte tatsächlich erst nicht erwartet, dass es nochmal so anders sein kann, als in dem ohnehin schon sehr dörflich geprägten Mamasa. Nach einer vierstündigen Wanderung auf sehr zerfurchten Sandwegen durch den Dschungel (die in Deutschland niemals für Motorräder zugelassen werden dürften), kamen wir erschöpft an. Inmitten von saftig grünen Kaffeebäumen, die sich an steilen dichtbewachsenen Hängen auf roter Erde ausweiten, befindet sich das Haus meiner Gastgeschwister. Hier durfte ich die Erfahrung machen, wie es ist, für längere Zeit mit ziemlich wenig auszukommen. Da es tagsüber keinen Strom gab, wurde über dem Feuer gekocht, weshalb man zuvor erstmal Holz sammeln gehen musste. Dann wurde meistens Reis und Gemüse gekocht, eben das, was man im Garten anbauen kann. Manchmal gab es auch mal ein Spiegelei, wenn die Hühner fleißig am Eierlegen waren. Zweimal wurde extra für mich ein Huhn zubereitet, wo ich natürlich auch bei der Schlachtung zusehen konnte. Wenn man sein großes Geschäft erledigen wollte, musste man zu einem kleinen Bach runterlaufen. Und das war eigentlich gar nicht mal so schlecht, denn man hatte seine Ruhe und konnte dem Vogelgezwitscher zuhören. Nur auf die Mücken musste man aufpassen. Jeden Tag sind wir trotz Regen für eine knappe Stunde auf den nächsten Berg hochgelaufen, um nach Empfang zu suchen. Auf dem Weg dahin durchquerte man immer wieder die Gärten anderer Leute. Dann kam es nicht selten vor, dass man anhielt und bei einer Tasse Tee, Kaffee oder Ballo (ein gärendes süß-saures alkoholisches Getränk von den Früchten eines Baumes) ein kleines Schwätzchen hielt.
Zur Kirche am Sonntag liefen wir auch eine Stunde lang, wobei der Weg uns unter den tiefgelegenen Kaffeebäumen entlang führte. Dass man dann völlig verschwitzt und voller Matsch an den Beinen im Gottesdienst saß, störte keinen, da alle ähnliche Wege hinter sich hatten. Anschließend ging man nicht gleich nach Hause, sondern traf sich mit der Gemeinde, brachte sich gegenseitig was Frisches aus dem eigenen Garten mit und erzählte sich den neuesten Klatsch beim Mittagessen. Da Handys hier ja eher weniger nutzbar sind und die Leute relativ weit voneinander weg wohnen, hat man sich jeden Sonntag mit Sicherheit vieles zu erzählen.
Unter der Woche war ich auch mal in der Schule von Talambai vorbei schauen. Es ist die einzige Schule in der Gegend, weshalb Grund- und weiterführende Schule zusammengelegt sind. Sehr beeindruckt hat mich, als mir eine Lehrerin bei der Vorstellung der Kinder erzählte, dass die meisten von ihnen so weit weg wohnen, dass sie jeden Tag um die zehn Kilometer zur Schule laufen müssen und mittags wieder zurück. Das sei auch der Grund, warum es pro Tag nur ein Schulfach gebe, damit die Kinder schnellstmöglich wieder nach Hause gehen können, bevor der große Regen am frühen Nachmittag beginnt.
Alles in allem habe ich viele neue Erfahrungen gemacht. Was mir in Erinnerung bleibt, ist der sehr einfache und entspannte Lebensstil. Mit Aufgang der Sonne steht man auf, tagsüber wird angepflanzt, geerntet, gekocht und gesellig zusammengesessen bis es mit dem Sonnenuntergang um 7 ins Bett geht. Anfangs wirkte dieser Alltag auf mich ein bisschen eintönig, doch mit der Zeit verstand ich die Geselligkeit und die Zufriedenheit der Menschen. Auch wenn sie nicht viel haben und relativ abgeschieden vom „Rest der Welt“ leben, ohne jegliches zeitfressendes social media oder anderen Schnickschnack, habe ich den Eindruck, ihnen fehlt hier an nichts Grundlegendem und sie sind den Umständen entsprechend zufrieden. Das hat mich beeindruckt und ich denke gerne an diese Zeit zurück.
Ostern ist auch nochmal erwähnenswert. Ähnlich, wie ich es aus meiner Kirche kenne, gibt es eine Art „Ostermorgen“, an dem man vor Sonnenaufgang aufsteht und Leuten aus dem Ort begegnet. In Mamasa trafen sich um drei Uhr morgens Massen an Menschen vor dem Haus des Bürgermeisters mit hell leuchtenden Fackeln in den Händen und lauter Musik. Dabei war die Menge in die jeweiligen Gemeinden aufgeteilt. Als es dann durch die Straßen Mamasas ging, repräsentierte jede Gruppe durch mehr oder weniger aufwendige Dekorationen ihre Gemeinde. Einige fuhren mit kleinen Trucks und wummernden Lautsprechern herum, andere trugen ein selbstgebasteltes Ebenbild ihrer Kirche auf den Schultern. Als ich erfuhr, dass dies am Ende nur für einen Schönheitswettbewerb diente, war ich von der Message ein bisschen enttäuscht. Ziel des Umzugs war das große Feld im Zentrum von Mamasa, auf dem ein festlicher Gottesdienst gefeiert wurde, während die Sonne im Hintergrund über den hohen Bergen aufging.
Die Tradition mit der Eiersuche gibt es auch hier in Indonesien. Nur werden hier gekochte Eier - weder bunt noch aus Schokolade – versteckt. Auf Nachfrage, warum nur die ganz normalen Eier, kam die Antwort, das wäre nicht unbedingt nötig, die Kinder hätten sowieso Freude daran. Natürlich gab es aber auch Workshops im Nachhinein, wo Osterkörbe und Eier kreativ gestaltet wurden. Also konnte ich mich nicht beschweren ;)
In den letzten Wochen gab es viele Veranstaltungen und Aktivitäten im Kindergarten. Vom Campen in der Natur bis zu Nachmittagsangeboten und Andachten war alles dabei. Dabei ist mir aufgefallen, wieviel Programmpunkte etwas mit Recycling zu tun hatten. Einmal wurde im Unterricht für eine Woche aus den Verpackungen der Snacks und Plastikflaschen Deko gebastelt. Bei einer Fashionshow präsentierten die Kinder ganz stolz ihre außergewöhnlichen Kleider aus Plastiktüten, Flaschen und Pappe. Das war ausgesprochen kreativ und faszinierend. So musste ich nicht mehr viel zum Thema Wiederverwertung dazugeben.
Nachdem jetzt im Kindergarten der offizielle Lernstoff vorbei ist und eigentlich schon straff auf die Einschulungsfeier in die 1. Klasse hingearbeitet wird, bleibt dennoch Zeit übrig für ein paar Englischstunden mit Miss Hanna. Dabei musste ich feststellen, dass die Kinder unterschiedlich viel Vorwissen in Englisch haben. Da ist es nicht immer einfach in einer Klasse für jedes Niveau den Anspruch zu finden. Aber spätestens bei den Spielen ist dann jeder dabei.
Und wenn ich mal einfach meine Ruhe habe für eine kleine Weile, blicke ich gerne des Öfteren aus dem Fenster und beobachte wie das abendliche Sonnenlicht auf die senfgelb gestrichene Kirche leuchtet und mir währenddessen der Geruch von frisch frittierten Bananen in die Nase steigt.
Dann stelle ich fest, wie sehr ich Mamasa vermissen werde und dass ich meine verbleibende Zeit nochmal richtig genießen muss. Ich bin mir sicher, da lässt sich noch einiges aus den knapp zwei Monaten herausholen.
Bis bald!


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