
Varanasi - Die Stadt des Lichts
Meine Reise in die heiligste Stadt der Welt
Varanasi, auch bekannt unter den Namen Banares oder Kashi, ist der besonderste und beeindruckenste Ort, den ich je besucht habe. Ich habe eine Woche dort verbracht, zusammen mit Johanna und Alisha, ebenfalls zwei Indienfreiwillige, die ich beim Zwischenseminar kennengelernt habe. Ich wäre gerne noch sehr viel länger geblieben, da es immer noch neues zu sehen gibt. Meine Gesundheit und der Zeitplan der anderen hat mir aber letztendlich einen Strich durch die Rechnung gemacht. Es war eine sehr intensive Zeit, in der ich eine ganz andere Seite von Indien zu sehen bekommen habe, von der ich bisher nichts wusste.
Varanasi ist eine der ältesten dauerhaft bewohnten Städte der Welt, ihr Alter wird von 3000 bis auf über 5000 Jahren geschätzt. Laut hinduistischer Überlieferung ist die Stadt der Ort, an dem Shiva als ewiger Herrscher residiert. Das macht sie zu einem, bzw dem heiligsten Ort für Hindus. Auch für Buddhisten ist die Stadt heilig, hier soll Buddha seine erste Predigt gehalten haben. Die Stadt liegt am heiligen Fluss Ganges und hat 84 Ghats (heilige Treppenanlagen), die entweder für rituelle Bäder oder zur Einäscherung von Toten bestimmt sind. Das Feuer der Feuerbestattungen am „Manikarnika Ghat“, dem wichtigsten Verbrennungsghat, brennt angeblich seit Jahrhunderten rund um die Uhr, ohne Unterbrechung, durch. Für Hindus ist es sehr wichtig in Varanasi zu sterben und dort verbrannt zu werden, dadurch kann das Samsara, der Kreislauf der Wiedergeburten, beendet werden. Shiva soll hier der Sterbenden das Mantra „Taraka“ ins Ohr flüstern, das zur direkten Erlösung führt. Der Shiva-Kult ist überall in der Stadt zu spüren. In der Stadt sind über 23.000 Tempel zu finden, in den meisten wird Shiva verehrt. Eine weiter Besonderheit der Stadt ist die Banaras Hindu University, sie ist eine der größten Wohnuniversitäten Asiens und kann bis zu 30.000 Studierende beherbergen.
Varanasi trägt den Beinamen „Stadt des Lichts“, der Name „Kashi“ bedeutet so viel wie „die Leuchtende“. Licht ist überall zu finden, sowohl im wörtlichen, als auch im symbolischen Sinne. Ich habe ein paar Erfahrungen, die ich mit dem Licht in Varanasi gemacht habe, gesammelt und werde euch hier von ihnen berichten.
Spirituelles Licht / Jnana – Wissen
Im Hinduismus symbolisiert „Licht“ nicht nur physisches Licht, sondern vor allem spirituelles Wissen und Erleuchtung. Hier soll das ewige Licht Shivas scheinen, das alles Unwissen vertreibt. Für mich war dieses spirituelle Licht sehr real und sehr spürbar. Egal, ob durch die unzähligen Tempel, die in allen erdenklichen Formen, Größen, Pracht oder Unscheinbarkeit, an gefühlt jeder Ecke zu sehen sind, ob durch die Sadhus (heilige Männer), die auf alles Weltliche verzichten und gut an ihrer orangenen Kleidung zu erkennen sind und die man überall in der Stadt, egal ob am Ganges oder in Teeständen, trifft oder durch die vielen Pilger, die die Stadt mit Leben erfüllen, die religiöse Bedeutsamkeit und spirituelle Macht ist regelrecht mit Händen zu greifen. Das habe ich zuvor noch nie in meinem Leben erfahren und hat mich, auch nachträglich, sehr beeindruckt.
Lichterrituale – Ganga Aarti
Jeden Abend und jeden Morgen finden, an zwei verschiedenen Ghats, Rituale, zur Zelebrierung des Ganges und der göttlichen Präsenz, statt. Das Ritual am Abend ist besonders spektakulär, das Ganga Aarti wird mit Lampen, Feuer und Gesängen, auf den die tausenden Besucher an bestimmten Stellen antworten, vollzogen. Der Name „Stadt des Lichts“ bekommt hier eine ganz besondere Bedeutung. In meiner Zeit in Varanasi habe ich dieses Ritual an drei Abenden besucht und war jedes Mal aufs neue sehr berührt, von der Größe und Würde dieses Events.
Das Feuer der Bestattungen
Jeden Tag werden in Varanasi, direkt am Ufer des Ganges und für alle sichtbar, hunderte verstorbene Gläubige verbrannt. Die Verbrennungen sind nur ein Teil einer lang andauernden Zeremonie, mit vielen verschiedenen Schritten, in denen die Leiche unter anderem im Ganges ein letztes heiliges Bad nimmt, der Scheiterhaufen aufgeschichtet, präpariert und geheiligt und schließlich angezündet wird. Bis eine Leiche verbrannt ist dauert es für gewöhnlich zwischen drei und vier Stunden, in denen die männlichen Familienangehörigen (Frauen dürfen bei den Bestattungen nicht teilnehmen) dabeistehen und Abschied nehmen können. Nachdem der Scheiterhaufen runtergebrannt ist, werden die verbleibenden Leichenteile symbolisch an den Ganges übergeben und die Asche hinterhergeschüttet. Damit ist das Ritual beendet und die Seele ins Nirvana übergegangen. Wir haben viel Zeit am kleineren der beiden Verbrennungsghats verbracht, da es sehr eindrücklich war, bei den Bestattungen zuzusehen. Es war sehr heiß, einerseits durch die Jahreszeit und andererseits natürlich durch die Feuer, es war rauchig und staubig und doch war die Stimmung immer irgendwie feierlich und eher ruhig, trotz dem Lärm der Pilger, Tempel, der dort lebenden Ziegen und der Motorboote auf dem Ganges. Wir haben uns mit den Männern, die für die Verbrennungen zuständig sind, angefreundet und wurden von ihnen in deren Zelt eingeladen. Diese Männer verbringen den größten Teil ihres Lebens an diesem Ghat und verbrennen jeden Tag Dutzende Tote. Sie gehören einer der untersten Kasten des hinduistischen Kastenwesens an, weswegen sie auch die „Drecksarbeit“ machen müssen und ihr Leben am Leichenfeuer verbringen. Sie waren wahnsinnig freundlich zu uns, haben mit uns ihr Essen geteilt und, trotz Sprachbarriere, versucht, alle unsere Fragen, die wir zu ihrem Alltag und dieser gänzlich anderen Lebensrealität hatten, so gut es ging zu beantworten. Währenddessen haben sie viel Marihuana geraucht und Alkohol getrunken, auch das gehört zu dieser Art zu leben. Das hat aber nichts daran geändert, dass diese Begegnung einer meiner absoluten Höhepunkte meiner Reise war. Die Freundlichkeit, mit der wir aufgenommen wurden und die Offenheit mit der uns Fremden begegnet wurde ist nicht selbstverständlich und hat für uns aber eine gehörige Aufwertung des Urlaubs bedeutet.
Die modernen Lichtmasten am renovierten Vishwanath-Ghat
In Varanasi steht einer der meist besuchten Hindu Tempel in Indien. Er zieht jeden Tag durchschnittlich 45.000 Pilger an. Diese Masse an Besuchern wurde durch eine Renovierungsmaßnahme gewonnen, die 2021 zu ihrem Ende kam. Der Tempel steht nahe am Ganges und hat ein eigenes Ghat, um ihn vom Fluss aus zu erreichen. Die Tempelanlage, die Treppe, die Lagermöglichkeiten, schlichtweg alles an diesem Ghat wurde erneuert, mit Geländern aus Edelstahl und perfekt rechtwinkligen Steinen ersetzt. Ich persönlich finde dieser Ghat ist der Unschönste am ganzen Gangesufer. Dazu kommen riesige Lichtmasten, ähnlich denen in einem Fußballstadion, die alles in grelles unnatürliches Licht tauchen. Vielleicht können jetzt mehr Leute in den Tempel und dadurch kann mehr Geld verdient werden, einen Beitrag zur Spiritualität hat die Renovierung aber definitiv nicht geleistet. Den Tempel konnte ich übrigens auch nicht besuchen, ich war in Varanasi während des gerade eskalierten Indien-Pakistan-Konflikts und die Wächter am Tempel waren nicht gerade gut auf Ausländer zu sprechen. Normalerweise ist das in Indien sehr anders, in dieser Zeit waren aber alle wohl etwas angespannter als sonst. Insofern konnte mir dieses Ghat und der Tempel wirklich gar nichts bieten außer hässliche blanke Oberflächen.
Lichtspiegelungen im Ganges
Der Ganges ist der heiligste Fluss Indiens, er verkörpert die Göttin Ganga, die auf diesem Weg auf die Erde gelangt. Ein Bad im Ganges soll von aller Sünde befreien und den Weg zur Erlösung ebnen. Der Fluss entspringt im Himalaya, durchquert Nordindien und mündet nach einer Gesamtlänge von 2525 km in Bangladesh in das riesige Sundarbans-Delta und dann in den Golf von Bengalen. Er versorgt schätzungsweise 400 Millionen Menschen mit Wasser, sowohl zum Trinken, als auch für Landwirtschaft und Industrie. Trotz seiner Heiligkeit und Wichtigkeit ist der Ganges einer der am stärksten Verschmutzten Flüsse der Welt, es gibt auch keine wirkliche Perspektive auf Besserung.
In Varanasi ist der Fluss beeindruckend breit und hat, auch wenn es nicht so wirkt, eine recht starke Strömung. Jedes Jahr steigt der Wasserspiegel des Ganges während und nach dem Monsun, sowie nach der Schneeschmelze stark an, um einige Meter. Dadurch verschwinden jedes Jahr große Teile der Ghats, für eine bestimmte Zeit, im Wasser und tauchen erst wieder auf, wenn das Wasser wieder sinkt. Das erklärt auch, warum die Gebäude, die direkt über die Ghats gebaut sind sehr hoch sind und erst in großer Höhe Fenster haben. Das macht die Kulisse der Ghats zu etwas ganz besonderem. Ich konnte es mir natürlich nicht nehmen lassen im Ganges zu baden, wer will nicht, das einem alle Sünden einfach so vergeben werden. Der Umgang der Inder mit dem Ganges hat mir auch die Angst vor möglicher Vergiftung genommen, da sie darin duschen, sich die Zähne putzen und das Wasser sogar trinken. Allerdings habe ich leider keinen indischen Magen, deshalb wurde ich nach meinem letzten Bad sehr krank, hatte sehr starken Durchfall, der sich auch erst Wochen später wieder beruhigt hat. Aber das gehört vielleicht auch zu einer Varanasi- Erfahrung.
Insgesamt war meine Zeit in Varanasi, auch wenn sie nicht wirklich lang war, doch eine der eindrücklichsten, während meiner ganzen Zeit in diesem Land. Ich habe Tage voller Glück, voller Überwältigung und Faszination, voller Menschen, voller Spiritualität und Leben verbracht. Ich empfehle jedem, der einmal eine andere, noch nie zuvor gesehene Welt betreten will, einen Ausflug in die älteste und heiligste Stadt der Welt, in die Stadt des Lichts.


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