Ein Einblick ins RBM
RBM-Toraja: Mobiler Dienst und Schule
„Rehabilitasi Bersumberdaya Masyarakat“, kurz RBM ist eine Organisation, die vor 30 Jahren von der Frauengruppe der Torajakirche gegründet wurde. Übersetzt bedeutet ihr Name: „Gesellschaftliche Rehabilitierung“. Der Verein macht sich für Kinder mit Behinderung stark und hilft ihren Eltern dabei, ein eigenständiges Leben zu ermöglichen. Das Thema bleibt in vielen Köpfen ein Tabuthema, was dazu führt, dass Menschen mit Behinderung kaum Teil der Gesellschaft sind und für viele unsichtbar bleiben. Das RBM kämpft für mehr Toleranz, damit die Betroffenen kein Leben am Rande der Gesellschaft führen müssen. Den Schwächsten in der Gesellschaft wird gezeigt, dass an sie gedacht wird.
Die Arbeit des RBMs teilt sich in zwei Bereiche auf. Einerseits werden Kinder mit Behinderung in einer Schule unterrichtet. Können sie nicht in die Schule kommen, dann besuchen die Frauen (ind. "Ibus") die Kinder zuhause. Besonders Tage im mobilen Dienst waren bisher spannend, da man dem Alltag der Menschen nahekommt.
MOBILER DIENST:
Was einen morgens im mobilen Dienst erwartet, kann man nie vorhersagen. Von Rantepao, meiner Heimatstadt für die nächsten Monate, geht es oft in Ecken, die sehr abgelegen liegen.
Immer dabei ist Ibu Rumissing, die Toraja (die Region, wo ich bin) wie ihre Hosentasche kennt. Und Harry, ein niederländischer Physiotherapeut, der für einen Monat im Jahr herkommt. Er kümmert sich hauptsächlich um Kinder mit Spastiken und macht mit ihnen Übungen. Beide sprechen gut Englisch, und erzählen mir viel über die betroffenen Familien. Das kann bedrückend sein, weil viele von ihnen Schlimmes erlebt haben, bevor das RBM auf sie aufmerksam geworden ist.
Warum die Kinder auf die Hilfe vom RBM angewiesen sind, hat unterschiedliche Gründe. Zum einen sind es geistige und körperliche Behinderungen, die ihnen ein „normales“ Leben unmöglich machen. Behinderungen sind entweder angeboren oder Folgen von vergangenen Krankheiten. In vielen Fällen haben die Kinder einmal eine Hirnhautentzündung gehabt. Da es auf dem Land keine medizinische Versorgung gibt, haben sie keine Behandlung bekommen.
Ein Beispiel dafür ist ein Junge namens Ray. Vor einem Jahr hatte er eine unbehandelte Hirnhautentzündung und seitdem leidet er an ihren Spätfolgen: Er ist vom Hals abwärts gelähmt, hört nicht mehr und sieht schlecht. Seine Epilepsie macht der ohnehin schon angespannten Familie umso mehr zu schaffen.
Über die letzten Jahre hinweg sammelte sich immer wieder Flüssigkeit in seinem Schädelinneren. Um sie abzulassen, bekam er per OP einen Schlauch in den Kopf operiert, der das Wasser abfließen lässt. Der Schlauch muss aber bald entnommen werden, da Ray wächst. Diese Behandlung wird in der Provinzhauptstadt Makassar gemacht. Dafür fallen aber Fahrtkosten an, die sich die Familie nicht leisten kann. Seine Oma, die moderne Medizin misstrauisch betrachtet, schlug als „Alternativlösung“ vor, sie könnte den Schlauch selber aus dem Kopf ihres Enkels ziehen.
Ibu Rumissing nahm sich dann sehr viel Zeit, um Rays Oma zu sagen, dass das keine gute Idee ist... Es war beeindruckend, wie Ibu Rumissing mit der alten Frau umging, die auf den Rat von der Städterin erst nicht hören wollte. Doch irgendwann nach langem Einreden hat es die Großmutter verstanden und gab Rumissing das Versprechen, es nicht zu tun.
Mir ist in den letzten Wochen aufgefallen, dass sich Behinderte fast immer hinter verschlossenen Türen aufhalten, obwohl in Indonesien der Alltag viel im Freien stattfindet. Oft sitzen behinderte Kinder ganztags in dunklen Räumen, weil Eltern ihre Kinder vor ihren Nachbarn verstecken.
Ein Besuch, der mir lange in Erinnerung bleiben wird, ist der bei Toding und seiner Familie. Er ist seit langem kein Kind mehr, aber der 35-jährige ist nicht eigenständig genug, um sich selbst zu versorgen. Im Alltag ist er auf die Hilfe seiner Eltern angewiesen. Eigentlich geht es seiner Familie gut: sie wohnt in einem wunderschönen Tongkonan, dem traditionellen Haus mit dem markant gebogenen Dach, das aussieht wie ein Schiff.
Doch obwohl im Haus viel Platz ist, bleibt Toding auf einem winzigen Balkon, der eigentlich zur Tierhaltung gedacht ist, weggesperrt. Auf dem Boden hockend, sah er mit seinen dunklen Augen auf die fassungslosen Ibu Rumissing und Harry herauf. Er wurde seit langem nicht mehr gewaschen und kann nicht auf die Toilette ins Haus.
Nicht nur für mich, sondern auch für Harry und Ibu Rumissing war es der erste Besuch bei ihm. Beide haben versucht, den Eltern zu erklären, ohne ihnen Vorwürfe zu machen, dass sie ihren Sohn so nicht behandeln sollten. Die Frage nach dem Grund, warum er nicht gewaschen wird, und weshalb er nicht einmal auf die Toilette darf, haben die Eltern nicht beantwortet. Die Mutter hat sich lediglich beklagt, dass es sehr anstrengend sei, ein Kind mit Behinderung zu pflegen.
Todings Geschichte ist ein weiteres Beispiel dafür, dass Behinderte versteckt werden. Seine Eltern gehen dabei so weit, dass sie ihr Kind selbst auch vergessen. Denn im gemütlichen Wohnzimmer am Eingang des Hauses geriet uns der Junge auf dem Balkon fast schon wieder aus dem Sinn.
SCHULE:
Von Mittwoch bis Samstag arbeite ich in der RBM-Schule. Sie liegt etwas außerhalb von Rantepao im beschaulichen „Tangmentoe“. Um dorthin zu kommen, stellt mir meine Schule einen Roller zur Verfügung. Mit Blick auf felsige Berglandschaften und umgeben von Wald und Reisfeldern bin ich jeden Tag aufs Neue von der Landschaft fasziniert.
Unterrichtet werden Kinder mit geistiger Behinderung sowie gehörlose Kinder im Alter von 8-15 Jahren. Untypisch für Indonesien geht es dabei morgens immer pünktlich um 9 Uhr los. Der Schultag beginnt immer mit einem Gebet, anschließend werden Lieder gesungen. Dabei kommt mir die eine oder andere Melodie schon bekannt vor... Die indonesischen Versionen von „Bruder Jakob“ oder „Der Hahn ist tot“ sind an der Tagesordnung.
Keine der Lehrerinnen kann Englisch sprechen und anfangs wäre ich ohne mein Handy komplett verloren gewesen - wenn es da nicht Ibu Anna gäbe. Ibu Anna ist taubstumm und kümmert sich um die gehörlosen Kinder. Sie versteht Englisch, und so haben wir uns einfach WhatsApp Nachrichten geschickt. Das war sowohl lustig als auch die schnellste Möglichkeit zu kommunizieren. Mittlerweile hat sie mir das indonesische Gebärden-Alphabet beigebracht sowie einfache Begriffe. Die Kommunikation ist immer noch anstrengend, weil es sich wie eine zusätzliche Fremdsprache anfühlt. Aber jeder verstandene Satz ist ein kleiner Erfolgsmoment.
Dann geht es in die Klassenräume. Die Kinder haben unterschiedliche Lernbehinderungen: So kann Efrat zwar bis 20 zählen, aber wenn es ums Lesen oder Schreiben geht, ist er komplett verloren. Freelyn wiederum nimmt nichts auf, was ihm gesagt wird, aber er kann selbstständig schreiben. Und Dewi lernt zwar etwas schneller als alle anderen Kinder, ist aber umso unkonzentrierter und wird nach 5 Minuten schon müde. Sonderpädagogik ist eine große Herausforderung!
Was viele Kinder gemeinsam haben, ist, dass Gelerntes sehr kurz in den Köpfen bleibt. Dann ist es frustrierend, wenn nach einer gefühlten Ewigkeit das Alphabet endlich sitzt, nur damit nach einer Trinkpause alles vergessen wird. Da brauche ich dann oft sehr viel Geduld, und muss akzeptieren, wenn an manchen Tagen alles etwas länger dauert.
Der meistgenutzte Raum im RBM ist aber kein Lernzimmer, sondern der Bastelraum. Kinder und Ibus stellen dort traditionelle Halsketten aus kleinen Perlen her. Das ist zeitintensiv und hat schon an manchen Tagen bedeutet, dass Unterrichtszeit vollständig fürs Basteln verwendet wurde. Der Schmuck wird von Besuchern gekauft, die in Gruppen unsere Einrichtung besuchen.
Oft kommen Leute, die es nicht gewohnt sind, einen „Bule“(weißen Menschen) zu sehen. Zum Schluss des Besuchs fragen mich viele Besucher nach einem Selfie. Fast so, als ob ich prominent wäre;) Andere rufen spontan per Videocall Familienmitglieder an, um ihren Freunden zu zeigen, wen sie getroffen haben. Am anderen Ende der Leitung sitzen Leute, dich ich nicht kenne, mich aber mit einem strahlenden Lächeln anschauen.
An dieser Stelle hat mein erster Eintrag sein Ende erreicht. Beim nächsten Mal geht es um beeindruckende Feste, Aberglauben und darum, wie verrückt indonesischer Wahlkampf sein kann.
Liebe Grüße,
Euer Emil
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Dein Schreibstil ist beeindruckend.
Ich freue mich schon auf weitere Erzählungen.